Gender Health Gap: Frauen erkranken anders
Medizinisch werden Frauen oft genauso behandelt wie Männer – und damit oft nicht angemessen versorgt, da Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht genügend berücksichtigt werden. Diese Gesundheitslücke untersuchen Forschende im Projekt HeartGap.
Medizinisch betrachtet hat der vermeintlich „kleine Unterschied“ zwischen den Geschlechtern große Folgen: Viele Krankheiten verlaufen bei Frauen anders als bei Männern, auch wirken Medikamente stoffwechselbedingt teilweise nicht gleich. Deshalb brauchen Frauen oft eine andere Behandlung als Männer, was in Forschung und Versorgung bisher allerdings nicht immer ausreichend berücksichtigt wird. Fachleute sprechen von einem „Gender Health Gap“, einer geschlechtsspezifischen Gesundheitslücke, die der Forschungszweig der Gendermedizin genauer in den Blick nimmt. Für den Fachbereich Kardiologie untersucht ein Forschungsteam im Projekt HeartGap, wie eine geschlechtersensible Versorgung und Pflege in der Praxis der Krankenhausversorgung bisher umgesetzt ist und optimiert werden kann. Das Projekt wird für 30 Monate mit mehr als 600.000 Euro durch den Innovationsauschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert.
Geschlechtersensible Behandlung kann Leben retten
Der Herzinfarkt ist eins der bekanntesten Beispiele dafür, dass sich schon die Symptome einer Erkrankung bei Frauen und Männern so sehr voneinander unterscheiden können, dass die richtige Diagnose erst spät gestellt wird – manchmal zu spät. Obwohl in Deutschland mehr Männer als Frauen einen Herzinfarkt erleiden, versterben mehr Frauen als Männer an dessen Folgen. Wie frühere Forschungen zeigten, liegt dieser Unterschied vor allem an den nicht erkannten Symptomen bei Frauen, die sich oftmals von den „klassischen“ Symptomen (bei Männern) unterscheiden. Statt Brustschmerzen etwa, die in den linken Arm ausstrahlen, treten häufig bei Frauen Schmerzen eher im Oberbauch, im Rücken, in der rechten Schulter oder auch im Unterkiefer auf; auch zählen Übelkeit und Erbrechen zu den „weiblichen“ Symptomen. Diese Beschwerden werden von medizinischen Teams jedoch häufig nicht korrekt interpretiert und nicht mit einem Herzinfarkt in Verbindung gebracht, wodurch lebensrettende Zeit verloren geht.
Obwohl medizinische Leitlinien und Pflegestandards bezüglich der geschlechtersensiblen personalisierten Versorgung (GSV+) bereits an den neuesten Stand der Wissenschaft angepasst wurden, ist deren Umsetzung in der Praxis unbekannt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Projekts HeartGap untersuchen Förderfaktoren und Barrieren der Implementierung und analysieren, wie es deutschlandweit um die Umsetzung und die Akzeptanz der Empfehlungen für eine GSV+ bestellt ist. In der GSV+ finden nicht nur das biologische Geschlecht, sondern auch das soziale Geschlecht sowie weitere Faktoren, wie beispielsweise Alter, Herkunft, Sprache und Religion, Berücksichtigung.
Status quo: Kein Querschnittsthema in der Lehre
Eine umfangreiche Literaturrecherche im Rahmen des Projekts konnte bereits zeigen, welche äußeren Faktoren die Umsetzung der GSV+ beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist die Lehre an den Universitäten. Noch immer ist die geschlechtersensible Medizin kein Querschnittsthema im Medizinstudium, obwohl sie alle Fachdisziplinen von der Kardiologie über die Onkologie bis hin zur Psychiatrie betrifft. Zusätzlich ist dieser Aspekt nicht fest in der medizinischen Weiterbildung verankert.
Befragung unter Fachpersonen soll Gründe klären
Derzeit führt das Projektteam von HeartGap eine bundesweite Studie zur Umsetzung der GSV+ in der kardiologischen Versorgung durch, bei der circa 350 Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte online befragt werden. Erste Erkenntnisse legen nahe, dass eine geschlechtersensible Versorgung sowohl von individuellen Faktoren als auch von den jeweiligen Versorgungseinrichtungen abhängt. „Sind es fehlende Informationen und individuelle Wissenslücken oder eher strukturelle und organisatorische Hindernisse, die einer geschlechtersensiblen Versorgung im Weg stehen? Genau das wollen wir mit unserer Studie herausfinden“, erläutert Professorin Dr. Clarissa Kurscheid, Projektleiterin bei HeartGap. Ergänzt wird die Studie um die Aussagen von 390 Patientinnen und Patienten, die zu ihren Erfahrungen auf kardiologischen Stationen an 14 Krankenhäusern deutschlandweit befragt wurden.
Podcast hilft Wissenslücken zu schließen
Auch in der Allgemeinbevölkerung ist die Bedeutung einer geschlechtersensiblen medizinischen Versorgung noch zu wenig präsent. Um das zu ändern, geht HeartGap einen für ein über den Innovationsfonds gefördertes Forschungsprojekt ungewöhnlichen Weg. „Mithilfe eines Podcasts wollen wir auf unterhaltsame Art aufklären und informieren“, sagt Clarissa Kurscheid, „Wir planen insgesamt 14 Folgen, in denen medizinische Expertinnen und Experten zu Wort kommen sollen, aber auch Betroffene.“
Für Fachkräfte in der medizinischen Versorgung und Pflege bietet der im Internet frei zugängliche Podcast zudem wichtige Hinweise: Die aktuell schon verfügbaren Folgen beispielsweise geben einen Überblick über die HeartGap-Studie, informieren detailliert über den weiblichen Herzinfarkt und das weibliche Herz aus chirurgischer Sicht. Informiert wird auch darüber, wie es gelingen kann, einen Herzinfarkt in der Notaufnahme zu erkennen, wenn „weibliche“ Symptome auch auf andere Indikationen hinweisen können. Darüber hinaus wird ein Interview mit einer Betroffenen geführt, die selbst einen Infarkt erlitten und ihre Symptome trotz medizinischer Vorkenntnisse zunächst falsch gedeutet hat.
Forschung soll Versorgungsqualität steigern
„Die Förderung des Innovationsausschuss beim G-BA hilft uns, auf das Thema geschlechtersensible Versorgung aufmerksam zu machen und Laien wie Fachpersonen für die damit verbundene Problematik zu sensibilisieren“, so Clarissa Kurscheid. „Zudem entwickeln wir konkrete Handlungsempfehlungen, die den kardiologisch Versorgenden unkompliziert, ohne großen Aufwand an die Hand gegeben werden und gegebenenfalls auch auf andere Fachbereiche ausgeweitet werden können.“ Werden diese Empfehlungen konsequent umgesetzt, so die Hoffnung der Projektverantwortlichen, lasse sich die Qualität einer Behandlung und die Sicherheit für die Betroffenen deutlich und dauerhaft verbessern. Zudem ließen sich langfristig Kosten sparen, da Behandlungen zielgerichteter und effizienter durchgeführt werden können.
Stand: 19.05.2025